Ein biblisches Friedensbild – heute betrachtet
Natürlich befragen wir Christinnen und Christen in dieser Zeit des Krieges die Bibel, um Trost, Erklärung, vielleicht auch Handlungsimpulse zu bekommen. Beim Propheten Micha (und nicht nur da) steht das Motto von den „Schwertern zu Pflugscharen“. Was hat es damit auf sich – und was sagt uns das?
Biblische Texte aus Micha 3 und 4, zitiert nach der BasisBibel:
Micha 4,3
Micha 3,10-12
Micha 3,2-3
Micha 4,1-4
Musik: „Morning Train“ von Wolf Schweizer-Gerth (lizensiert über Cayzland.de).
Textfassung
Hinweis: Es handelt sich hier nicht um ein Transkript, sondern um das Manuskript zur Folge. Deshalb kann es vom Wortlaut her vom Podcast leichter oder auch deutliche abweichen.
Die zweite Folge während des Kriegs in der Ukraine. Das Gefühlschaos ist nicht weniger geworden, eher mehr. Was können wir tun? – ist das eine. Es ist wenig, aber wir können etwas tun: Beten, spenden, aufnehmen. Auch wenn wir in der entscheidenden Frage machtlos sind. Wir ganz persönlich können Putin nicht stoppen. Schon gar nicht durch Wut auf alles Russische, was mehr kaputt macht als es hilft.
Aber dann: Was können wir fühlen? Was dürfen wir fühlen? Darf ich mich freuen in diesen Tagen, wo es doch Menschen so schrecklich schlecht geht? Darf ich traurig sein über den Krieg, wo ich doch überhaupt nicht nachfühlen kann, hier im sicheren Deutschland, wie es Menschen dort geht. Ich möchte heulen, aber muss ich mich nicht zusammenreißen und helfen?
Dann die Veränderungen in diesem Land. Plötzlich ist die überwältigende Mehrheit hier für Waffenlieferungen in die Ukraine. Und eine Mehrheit ist für die Erhöhung des Verteidigungsetats und findet das Sondervermögen richtig. Es ist vielleicht etwas übertrieben, hier von Aufrüstung zu sprechen, wo es doch offensichtlich hauptsächlich darum geht, dass unsere Armee überhaupt einsatzfähig ist. Und doch ist es eine Zeitenwende.
Ich stelle fest, dass ich die Waffenlieferungen und die Erhöhung des Verteidigungsetats ebenfalls prinzipiell für richtig halte. Und das, obwohl ich Zivildienst geleistet und noch nie eine Waffe in der Hand gehalten habe. Obwohl ich auch einmal von „Frieden schaffen ohne Waffen“ geträumt habe. Gut, ich habe schon sehr lange befürchtet, dass das nur ein Traum ist – und ich fand es schon immer unsäglich, wie von Teilen der Friedensbewegung die Angehörigen der Bundeswehr verächtlich gemacht und als potentielle Mörder abgestempelt wurden. Aber es ist wie Aufwachen, mit neuen, harten Realitäten konfrontiert zu sein. Zu diesen Realitäten gehört auch, dass wir in diesem Land schuldig geworden wären, wenn wir keine Waffen geliefert hätten.
Es gibt keine Möglichkeit, wie wir mit sauberen Händen aus der Sache herauskommen, wie Bundeswirtschaftsminister Habeck das so treffend ausgedrückt hat. Aber sollte unser Glaube uns nicht sagen, dass wir überhaupt nicht mit sauberen Händen aus diesem Leben heraus kommen können?
In diesem Meer von Gefühlen kreuzt immer wieder das wunderschöne Wort von den „Schwertern zu Pflugscharen“. Es ist ein Motto der Friedensbewegung geworden, aber es stammt eigentlich aus der Bibel. Und zwar gleich dreimal, bei den Propheten Jesjaja, Joel und Micha.
Deshalb soll es heute um eine Prophezeiung des Micha gehen, aufgezeichnet in seinem 3. und 4. Kapitel. Ich zitiere die Übersetzung der BasisBibel. Micha schreibt (oder vielmehr: sagt):
4,3 Dann werden sie Pflugscharen schmieden
aus den Klingen ihrer Schwerter.
Und sie werden Winzermesser herstellen
aus den Eisenspitzen ihrer Lanzen.
Das ist nun wirklich göttliches Recycling, aber wie die Formulierung und die Zeitform des Futur schon andeuten: Es liegt in der Zukunft. Und im Kontext wird klar: Es ist eine wirklich ferne Zukunft und vor allem eine, die wir gar nicht selbst herstellen können.
Aber bei Micha gibt es auch eine Gegenwart. Eine, die vertraut klingt:
3,10 Ihr glaubt, den Zion aufzubauen –
doch ihr vergießt unschuldiges Blut.
Ihr glaubt, Jerusalem groß zu machen –
doch ihr handelt aus Bosheit.
11 Die Anführer der Stadt nehmen Geschenke
und entscheiden danach, wer Recht bekommt.
Die Priester geben Auskunft nur gegen Geld.
Auch die Propheten weissagen gegen Bezahlung.
Dabei berufen sie sich auf den HERRN und sagen:
»Ist denn der HERR nicht mitten unter uns?
So kann uns auch kein Unglück treffen!«
12 Doch täuscht euch nicht:
Wegen euch wird der Zion umgepflügt wie ein Acker.
Jerusalem wird zu einem Trümmerfeld
und der Tempelberg zum finsteren Wald.
Was hier nicht gesagt wird: Zur Zeit des Propheten Micha im 8. Jahrhundert vor Christus und auch noch in den Jahrhunderten danach war Krieg für die Menschen in Juda und in Israel nichts Theoretisches. Fast das ganze erste Jahrtausend vor Christus hindurch war das, was wir heute den Nahen Osten nennen, ein Spielball der Großmächte. Babylon, Assur, Ägypten, Persien, Griechenland, Rom. Irgendeines dieser Reiche erhob immer Anspruch auf das Land um Jerusalem herum, manchmal gleich mehrere davon. Die Situation der Menschen in der Ukraine heute kannten die Menschen damals ganz gut, auch wenn die Waffen andere waren.
Aber darum geht es Micha nicht. Es geht ihm um die Herrschaftselite – politisch wie religiös. Sie haben den heiligen Berg Zion, den Ort des Tempels verdorben, indem sie sich nicht von Gerechtigkeit leiten lassen, sondern von Gier. Gerichtswesen, Opfer, Weissagungen, Verkündigung, alles ist von Korruption verseucht. Micha findet sehr drastische Worte:
3,2 Sie aber hassen das Gute und lieben das Böse.
Sie sind dabei, den Leuten die Haut abzuziehen
und das Fleisch von ihren Knochen zu reißen.
3 Sie haben das Fleisch meines Volkes gefressen,
die Haut abgezogen und ihre Knochen zerbrochen.
Sie haben alles zerhackt wie für den Kessel,
wie Fleisch, das in den Kochtopf kommt.
Aber nun ist das Maß für Gott so dermaßen voll, dass er ein gewaltsames Ende mit all dem macht. Er vernichtet seinen eigenen heiligen Berg, beziehungsweise – er lässt das die Großmächte tun. Hier wird klar: da werden Erklärungsmuster gebraucht, die uns fremd sind. Als würden die Ukrainer:innen – sollte Putin gewinnen – später einmal die Niederlage als Strafe für die Korruption ihrer Eliten deuten. Es gibt solche Korruption, sicher, aber das ist nicht der Grund für Putins Angriff und der ist schon gar keine gerechte Strafe.
Fatalerweise gehen einige Erklärungsmuster Putins selbst in die gleiche Richtung, wenn er etwa die Regierung in Kiew als Drogensüchtige verleumdet. Das alles zeigt, dass es mindestens zweischneidig ist, die Bibel als Deutungsmuster für unsere Zeit zu verwenden.
Bei Micha, im 4. Kapitel, kommt der Umschwung. Gott hat erkannt, dass die Menschen von sich aus zur Besserung unfähig sind und in einer Art Sintflut light erst einmal alles vernichtet. Aber dann nimmt er seinen heiligen Berg wieder selbst in Besitz:
4,1 Am Ende der Tage wird es geschehen:
Der Berg mit dem Haus des HERRN steht felsenfest.
Er ist der höchste Berg und überragt alle Hügel.
Dann werden die Völker zu ihm strömen.
2 Viele Völker machen sich auf den Weg und sagen:
»Auf, lasst uns hinaufziehen zum Berg des HERRN,
zum Haus, in dem der Gott Jakobs wohnt!
Er soll uns seine Wege weisen.
Dann können wir seinen Pfaden folgen.«
Denn vom Berg Zion kommt Weisung.
Das Wort des HERRN geht von Jerusalem aus.
3 Er schlichtet Streit zwischen vielen Völkern.
Er sorgt für das Recht unter mächtigen Staaten,
bis hin in die fernsten Länder.
Dann werden sie Pflugscharen schmieden
aus den Klingen ihrer Schwerter.
Und sie werden Winzermesser herstellen
aus den Eisenspitzen ihrer Lanzen.
Dann wird es kein einziges Volk mehr geben,
das sein Schwert gegen ein anderes richtet.
Niemand wird mehr für den Krieg ausgebildet.
4 Jeder wird unter seinem Weinstock sitzen
und unter seinem Feigenbaum.
Niemand wird ihren Frieden stören.
Denn der HERR Zebaot hat es so bestimmt.
Nun ist das gewaltlose Paradies da. Gott hat das Recht in seine Hand genommen und die Völker strömen zu seinem Berg, um ihm zu huldigen. Und er sorgt auch für das Recht. Deshalb – und nur deshalb – können die Waffen umgeschmiedet werden, sie werden nicht mehr gebraucht. Das Material kann dazu eingesetzt werden, Menschen Leben zu ermöglichen. Was für eine Vision – denn es tut ja wirklich weh, Geld für Verteidigung ausgeben zu müssen, und es nicht für soziale Projekte, den Klimaschutz, Verkehrsprojekte usw. ausgeben zu können. Aber den Luxus, darauf zu verzichten, haben wir nicht. Denn noch ist das Recht in unsere Hand gegeben.
Insofern taugen diese Texte zur Lösung aktueller Konflikte nur bedingt. Aber sie zeigen doch eines: Gottes absolute Priorität liegt auf dem Frieden, darauf, Leben zu schaffen und nicht, es zu zerstören. Insofern muss auch unsere absolute Priorität darauf liegen. Gott leidet darunter, dass wir keinen Frieden hinbekommen. Er ist mit dabei bei jeder Anstrengung, jedem Projekt, das auf den Frieden hinarbeitet. Und es gibt so viele dieser Projekte, durch die schon viele kriegerische Auseinandersetzungen verhindert oder zumindest gemildert wurden. Leider ist „Frieden schaffen ohne Waffen“ ein Wunschtraum, wenn wir es für die ganze Welt erträumen. Aber es ist ein Anstoß vor Ort, lokal und im Kleinen, manchmal auch im Größeren. Ein starker und überlebenswichtiger Anstoß.
Leider müssen wir auch als Christinnen und Christen beides: Uns um friedliche Konfliktlösung bemühen und so ausgerüstet sein, dass wir uns auch gegen die verteidigen können, die sich kein bisschen um Gerechtigkeit scheren. Aber eines können wir nicht: sagen, dass ein Angriffskrieg von Gott gewollt ist. Denn Gott liebt Pflugscharen mehr als Schwerter.