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Predigt-Stück

Allein im Garten

Jesus ist im Leid allein – mit und für uns

Eine bekannte und erschütternde Szene: Jesus betet in der Nacht vor seinem Tod ganz allein im Garten, seine Freundinnnen und Freunde sind weg oder schlafen. Er fleht Gott an, ihn zu verschonen, er ergibt sich in sein Schicksal – doch Gott schweigt. Wofür steht dieser flehende Jesus: ist er leidender Mensch, ist er Gottes Sohn. Oder beides – und was heißt das?

Der Text steht im Matthäusevangelium, 26. Kapitel, Verse 36-46 (Lutherübersetzung 2017):

Da kam Jesus mit ihnen zu einem Garten, der hieß Gethsemane, und sprach zu den Jüngern: Setzt euch hierher, solange ich dorthin gehe und bete. Und er nahm mit sich Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus und fing an zu trauern und zu zagen.

Da sprach Jesus zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wachet mit mir! Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch bnicht, wie ich will, sondern wie du willst!

Und er kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend und sprach zu Petrus: Konntet ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen? Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach.

Zum zweiten Mal ging er wieder hin, betete und sprach: Mein Vater, ist’s nicht möglich, dass dieser Kelch vorübergeheA, ohne dass ich ihn trinke, so geschehe dein Wille! Und er kam und fand sie abermals schlafend, und ihre Augen waren voller Schlaf.

Und er ließ sie und ging wieder hin und betete zum dritten Mal und redete abermals dieselben Worte. Dann kam er zu den Jüngern und sprach zu ihnen: Ach, wollt ihr weiter schlafen und ruhen? Siehe, die Stunde ist da, dass der Menschensohn in die Hände der Sünder überantwortet wird.

Steht auf, lasst uns gehen! Siehe, er ist da, der mich verrät.

Musik: „Morning Train“ von Wolf Schweizer-Gerth (lizensiert über Cayzland.de).

Textfassung

Hinweis: Es handelt sich hier nicht um ein Transkript, sondern um das Manuskript zur Folge. Deshalb kann es vom Wortlaut her vom Podcast leichter oder auch deutliche abweichen.

Nicht, wie ich will, sondern wie du willst!

Eine ganz bekannte Szene. Jesus im Garten Getsemane. Und wie viele solcher bekannter Szenen hat sie inzwischen ein wenig von ihrer Schockwirkung verloren. Da kniet Jesus betend zwischen Bäumen. Drei Jünger schlafen ganz in der Nähe. Die anderen irgendwo am Horizont, ab vom Geschehen. Und vielleicht kommt auch im Hintergrund schon der Verräter heran, verstohlen und doch entschlossen, an der Spitze einer Horde Männer mit Knüppeln und Schwertern. Und das alles in einem wunderschönen Garten voller Blumen und Bäume, Pflanzen und Tiere.

Dabei stecken darin zwei für den christlichen Glauben ganz wesentliche Elemente. Das erste davon weist darauf hin, dass es hier gerade nicht darum geht, irgendeinen Glaubenssatz zu illustrieren. Es geht um das nackte menschliche Leid. Die Bibel scheut sich nie davor, den elend Leidenden eine Stimme zu leihen. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“, fleht der 22. Psalm, Jesus selbst wird ihn am Kreuz beten. Und so ist dieser Mensch da im Garten Getsemane zuallererst nicht Jesus Christus, der Sohn Gottes, der Messias, der Menschensohn, der Ursprung einer Weltreligion. Dort kniet ein verzweifelter Mensch, von allen verlassen. Jesus sieht sich verlassen von der Zukunftshoffnung. Am nächsten Tag, das ahnt er, eigentlich weiß er es, wird er sterben.

Die Menschenmassen, die ihm zugejubelt haben, die ihre Kranken herangeschleppt haben, die Seelennot und Hunger zu ihm getrieben haben, weg sind sie. Sie haben ihn aufgegeben, es wurde ihnen zu gefährlich. Oder sie halten zu ihm, aber in ihren eigenen Häusern und Gärten. Die Pfeiler der Macht dieses Landes, die religiösen und politischen Eliten, Römer und Juden, sie haben ihn weggestoßen. Auf den Staat kann er sich nicht mehr verlassen.

Die Jüngerinnen und Jünger, sie sind noch bei ihm – theoretisch jedenfalls. Aber die meisten davon hat er nicht mitgenommen in den Garten. Er weißt nicht, ob er sich auf sie verlassen kann, er will sie nicht belasten mit seiner Einsamkeit. Aber drei, auf die wollte er sich verlassen, die brauchte er jetzt ganz dringend in dieser Stunde. Petrus, Jakobus und Johannes, die engsten Vertrauten: „Bleibet hier und wachet mit mir!“ „Lasst mich nicht allein, bleibt wach, lasst mich nicht im Stich!“. Sie werden entschlossen genickt haben, aber dann konnten sie einfach nicht mehr. Vielleicht nicht einmal aus Feigheit oder Angst, sondern einfach geschwächt von diesen Tagen, von ihrer eigenen Angst, der Körper konnte nicht mehr. Sie schlafen ein. Dreimal.

Und dann das Schlimmste. Jesus betet. Verzweifelt. Laut. Aber es kommt keine Antwort. Er möchte, dass es anders kommt, dass es irgendwie gut ausgeht. Keine Antwort. Er akzeptiert sein Schicksal, legt sich selbst in Gottes Hand. Keine Antwort. Wie schrecklich! Am Kreuz wird er dann betend schreien: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“.

Schließlich, das Gebet ist beendet, die Jünger eingesammelt, sie sind beschämt, schuldbewusst, dann nicht nur Verlassensein, sondern Verrat.

All diese Dinge lassen sich theologisch deuten, aber zunächst einmal zeigen sie. Da ist einer von Gott und der Welt schrecklich, tödlich verlassen. Leider nichts Besonderes in dieser Welt, auch heute nicht.

Wenn sich im Leid alle zurückziehen, in der Krankheit nur noch manche vorbeikommen. Und die wissen dann manchmal nicht, was sie sagen sollen. Und das Schlimme: Egal, was sie sagen, es hilft nicht. Vielleicht wäre es besser, sie wären einfach wortlos dabei. Denn manchmal sind wir vom Inhalt der Worte gar nicht mehr erreichbar. Aber von Blicken, von der Wärme in der Stimme, von einer Berührung, vom Wachen und Beten. „Meine Seele ist betrübt bis an den Tod“. Nicht nur der Verstand, sondern vor allem die Seele hat jetzt Not.

Aber auch die, die da bleiben, die helfen, die pflegen, für die Seele sorgen – irgendwann können sie nicht mehr. Sie sind erschöpft und in der letzten Krise sind wir dann doch alleine. Wenn wenigstens Gott dabei wäre. Er, der keinen Schlaf braucht, Herr ist über Leben und Tod. Doch wenn Gott nicht antwortet, wenn er schweigt … Dann ist nicht einmal Jesus stark genug.

Schon allein das kann Mut geben. Wir müssen nicht stark sein bis zuletzt. Es ist keine Schande, zu zweifeln, wäre auch keine, wegzulaufen, alles hinter sich zu lassen, zu flüchten. Und so können sich in diesem Text Menschen wiederfinden, die vielleicht nicht in einem Garten beten, sondern ihre Sachen packen, sich an der Grenze voneinander verabschieden und dann ins Ungewisse weiterziehen: in ein fremdes Land oder an die Front.

Aber können sie sich in diesen Worten wiederfinden: „nicht, wie ich will, sondern wie du willst!“ Kann ein solches Ideal nicht kaputt machen? Oder kann es gerade Kraft geben? Wenn ich weiß, dass auch das, was mich jetzt quält, irgendwie auch zu Gottes Plan gehört, mich nicht von ihm trennt. Aber in mir sträubt sich alles dagegen. Inwieweit kann denn Leid zu Gottes Plan gehören? Dass Menschen in ihren Wohnhäusern verbrennen, dass sie auf der Flucht erschossen werden, dass sie jenseits der Grenze Menschenhändlern in die Hände fallen, das kann doch zu keinem Plan Gottes gehören? Das ist doch viel eher ein teuflischer Plan? Oder – nicht viel besser – der Plan Putins?

Hier ist es dann wirklich wichtig zu unterscheiden und hier sind wir zugleich im Bereich des Glaubens. Denn dann leidet dort nicht ein Mensch, einer von vielen Gequälten und Leidenden, sondern Gottes Sohn. Und das bedeutet: Gott selbst. Ja, das ist eine Frage des Glaubens und gleichzeitig für mich persönlich die einzige Möglichkeit, dieses Leid im Garten zu verstehen. Dann lässt nicht Gott einen Menschen für irgendeinen Zweck leiden. Dann setzt sich Gott selbst dem Leid aus. Und zwar einem so tiefen Leid, dass Gott selbst nicht weiß, ob Gott ihn verlassen hat.

Damit verschiebt sich der Blick von diesem leidenden Menschen im Garten und richtet sich auf uns. Auf uns alle. Egal, in welcher Lebenslage wir sind. Und dieser Blick ist ein liebevoller Blick eines Versprechens. „Ich bin da bei dir!“ Und dieses Versprechen gibt dann nicht einer, der sowieso keine Ahnung hat, was das bedeutet. Der gar nicht bis zuletzt dabei sein kann, weil er sich nicht vorstellen kann, was Todesangst ist. Es ist das Versprechen eines leidgeprüften, liebevollen, hartnäckigen Gottes, der weiß, wovon er spricht.

Wenn die Seele betrübt bis an den Tod ist, dann ist da ein Gott, der das kennt. Der nicht einschläft, der nicht überlastet ist, der nicht von oben herab gelassen lächelt, sondern mitten im Dreck steht. Weil er uns liebt.

Diese Erzählung vom Garten begegnet uns in der Passionszeit. Wenn sich alles um die Frage nach dem „Warum?“ dreht. Warum Jesus sterben muss. Die Antwort ist: Weil Gott uns liebt. Und diese Antwort delegiert Gott nicht an einen, und sei es noch so wunderbaren, Menschen, sondern gibt sie selbst.

Möge der Frieden in der Ukraine einen Weg finden. Mögen ihm möglichst viele Menschen dabei helfen. Waffenlieferungen sind jetzt vielleicht unumgänglich. Aber der Weg Jesu zeigt auch: Es gibt Möglichkeiten, ohne Waffen dem Unrecht zu begegnen. Auch in der Ukraine wehren sich Menschen ohne Waffen und das zeigt Wirkung. Beide Wege sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden, wenn das Ziel der Frieden ist. Möge Gott mit unserer Welt sein!

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